Erfolgreich und doch so einsam

Im Bücherherbst 2013 bewirbt der Verlag Piper verstärkt den neuen Roman „Tabu“ von Ferdinand von Schirach. Das dürfte nicht nötig sein, da alle seine ab 2009 erschienenen Bücher Bestseller in seinem Hausverlag geworden sind. Auch „Tabu“ hat die literarische Qualität und spannungsreiche Finesse, um sich von alleine durchzusetzen.

Der Name Schirach bildet bei geschichtsbewussten Menschen bestimmt Synapsen der Erinnerung aus. Richtig, sein Großvater war der NSDAP-Reichsjugendführer Baldur von Schirach, welcher 1946 in den Nürnberger Prozessen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Damit soll es bewendet sein ohne weitere Deutungen. Sein 1964 in München geborener Enkel Ferdinand ist nach dem Jurastudium Strafverteidiger in Berlin geworden. Und mittlerweile ein berühmter Schriftsteller oder besser erfolgreicher Autor von Kriminalgeschichten, übersetzt in viele Sprachen.

Buchcover Tabu von Schirach

In Tabu hat ein junger Mann, Sebastian von Eschburg, die wunderbare Fähigkeit, Worte und Dinge mit Farben in all ihren Nuancen verbinden zu können: „Die Hände des Kindermädchens waren aus Cyan und Amber, seine Haare leuchteten für ihn violett mit einer Spur Ocker, die Haut des Vaters war eine blasse, grünblaue Fläche“. Nach dem Selbstmord seines Vaters findet er keinen Lebenshalt mehr. Trotz seines Erfolges als Werbefotograf und auch bei den Frauen ist er einsam. Als ihn die Polizei verhaftet unter dem dringenden Verdacht eine junge Frau ermordet zu haben, bittet er den Rechtsanwalt Konrad Biegler um Hilfe.

Eine Schlüsselstelle des Romans, auch zum Verständnis des Verlorenseins des Protagonisten, ist Eschburgs Besuch in der Berliner Nationalgalerie. Er betrachtet Caspar David Friedrichs Werk Mönch am Meer. Ein radikales Gemälde. Es zeigt nur eine kleine Figur auf nacktem Felsen an der See stehend, vor einem bedrohlichen Himmel, der Vierfünftel der Leinwand einnimmt. Der oft belehrende und lakonische Schirach notiert dazu: „1810 wurde das Bild das erste Mal ausgestellt. Heinrich von Kleist schrieb damals, wenn man es betrachtet, sei es, als ob einem die Augenlieder weggeschnitten wären“. Von dem unglücklich-depressiven Dichter Kleist wird noch zu reden sein.

Überraschende Parallelen zu Heinrich von Kleist

Ich habe Schirachs Roman in einem Rutsch gelesen, wie man so schön sagt, konnte nicht mehr aufhören. Einem Freund von mir ging es genauso. Was ist das Geheimnis, die suggestive Kraft dieses Erzählers? Mit wenigen kurzen Sätzen gelingt es Schirach grosse und oft bedrohlich wirkende Geschichten zu entwerfen. In einem Radiointerview sagte er vor Jahren, er bemühe sich Adjektive und Adverben wegzulassen, also bewusst auf Beschreibungen und Bewertungen zu verzichten. Dieser elegante und einfache, im Sinne von gut zu lesende Stil brachte Schirach u.a. den renommierten Kleist-Literaturpreis ein. Das erscheint doch etwas paradox, denn Heinrich von Kleist ist berühmt für seine langen Satzkonstruktionen voller Einwürfe und Verschachtelungen. So finden sich in seinen meisterlichen Novellen wie im ‚Michael Kohlhaas‚ Sätze, die fast eine ganze Buchseite füllen; und grammatikalisch trotzdem absolut einwandfrei sind.

Auch wenn Schirach mit dem Stil von Kleist nichts gemein hat und bestimmt auch nicht will, die beiden sind sich ähnlicher als oberflächlich betrachtet. Beide verbindet die Gabe eine Geschichte in atemloser Geschwindigkeit voranzutreiben, die Ausweglosigkeit der Handelnden vor ihrem Schicksal herauszuarbeiten. Und beide sind auch Moralisten. Große Rechtsfragen wie Wahrheit und Wirklichkeit, Schuld und Sühne sind ihre Themen.

Es gibt leider auch Petitessen bei Schirach. Ich selbst bin begeisterter Hobbyfotograf und dem Thema Lichtbildkunst gegenüber sehr aufgeschlossen. Aber ist es nicht für den Handlungsablauf absolut unnötig, gar störend, wenn genau aufgeführt wird mit welchem Kameratyp der Fotograf Eschburg arbeitet, bei wem und in welchem Druckverfahren und -grösse er seine Poster herstellen lässt? Zudem teilt Schirach seinen Roman in vier Überkapiteln nach Farben ein: Grün, Rot, Blau und dann Weiß. Die ersten drei Farben in gleichen Anteilen gemischt ergeben die letzte. Das ist zwar richtig, aber für die Erzählung nicht von Belang, also obsolete Zierrat.

Das anspringende Kopfkino verlangt eine baldige filmische Realisation

Tabu wird mit ziemlicher Sicherheit verfilmt werden. Schirach liefert mit seinen präzisen Beschreibungen, dem Spannungsaufbau des Romans und vor allem den Andeutungen jedem Drehbuchautor und Regisseur eine perfekte Steilvorlage. Für die Rolle des bärbeißigen, alternden Strafverteidigers Konrad Biegler gibt es eigentlich nur eine Besetzungsmöglichkeit – Josef Bierbichler. Schirachs erster Erzählband „Verbrechen“ ist ja schon letztes Jahr vom ZDF als sechsteilige Serie verfilmt worden. Auch da spielt Bierbichler den Verteidiger. Da halte ich ihn jedoch nicht für die Idealbesetzung, weil die Rolle des Anwaltes als Alter Ego von Schirachs – und damit eines etwas Jüngeren – angelegt ist. Wer jedoch die ganze schauspielerische Wucht Bierbichlers erleben möchte, dem sei empfohlen seine Rolle ‚Der Knochenmann‚ im gleichnamigen österreichischen Spielfilm von 2009 zu bestaunen.

Wie auch immer, in der ersten Fernsehfolge ‚Fähner‘ zerteilt ein Arzt (grandios gespielt von Edgar Selge) seine Frau mit der Axt. Fähner stellt sich freiwillig und wird doch nicht des Mordes schuldig gesprochen, seinem Verteidiger sei Dank. Das Drehbuch hält sich eng an die Vorlage von Schirachs Erzählung, welche ich eine für seiner besten halte. Im Nachhinein betrachtet, wirkt sie in Aufbau und Stilistik wie eine Vorbereitung für seinen neuen 256seitigen Roman Tabu. Ein Kreis schließt sich also.

Nach der Lektüre – mit dem von mir nicht verratenem Clou zum Schluß – drängen sich dem einen oder anderen Leser sicherlich Fragen auf: Wieviel Ähnlichkeiten hat der Autor mit seinen Romanfiguren, sei es mit dem Anwalt Biegler oder dem Fotografen Eschburg? Und wieviel mit den zitierten einsamen Künstlerpersönlichkeiten Goya, Friedrich und Kleist? Welche Tabus sind Schirachs eigene? Da bleibt noch viel Raum für Deutungen beim Meister des Nichtgesagten.

Ronald Siller | 30. Oktober 2013

Eine Antwort auf „Erfolgreich und doch so einsam“

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