Mit feinem Gespür durch die Uckermark

Dem gebürtigen Bosnier Stanisic gelingt mit seinem zweiten Roman „Vor dem Fest“ ein feinsinninges Werk über ein Dorf in der Uckermark mit seinen Menschen und seiner Geschichte. Und darüberhinaus über das Erzählen und das Leben an sich.

Im deutschen Feuilleton glimmt seit Jahren immer wieder eine Debatte auf, warum es keinem Autor gelänge, einen großen Roman zur Wiedervereinigung bzw. zur neuen gesamtdeutschen Wirklichkeit zu veröffentlichen. Und dann ist da seit Wochen noch diese unsägliche Diskussion, ob es in Deutschland überhaupt Exilanten gäbe, welche Werke in deutscher Sprache von Bedeutung schreiben würden. Es ist so grotesk und schön gleichzeitig: Im 25sten Jahr nach dem Fall der Mauer macht der 1978 geborene Sasa Stanisic diese Debatten mit einem Schlag bedeutungslos. Als Vierzehnjähriger kam er von Bosnien-Herzogowina nach Deutschland, ist einem fürchterlichen Bürgerkrieg also entkommen. Er har ein ganz feines Gespür für Sprache, jongliert mit Worten, schreibt in Andeutungen. Ich mag das. Viele andere wohl auch. Ganz zurecht hat Stanisic schon einige deutsche Literaturpreise erhalten. Zuletzt wurde er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2014 ausgezeichnet.

Buchtitel Vor dem Fest von Sasa Stanisic

Um was geht es in „Vor dem Fest“? Am Vorabend des tradtionellen Annenfest ist in dem Dorf Fürstenfelde in der Uckermark unerwartet viel los. Mehrere seiner Bewohner sind noch des Nachts unterwegs. Stanisic breitet ein Kaleidoskop von Menschen aus und ihrer Beziehungen untereinander, verbindet ihre Lebensgeschichten mit den Mythen des Dorfes. Auf eine ganz feine, leicht ironisch-witzige Art wird eine Dorfgemeinschaft im heute und im gestern beschrieben, auch die DDR- und Wendezeit wird unangestrengt behandelt. Die allwissende Erzählperspektive kommt zumeist in der „Wir“-Form daher, also aus Sicht der Bewohner. Dazwischen finden sich immer wieder Kapitel einer (vielleicht erfundenen?) alten Chronik des Dorfes, geschriebenen in einem geglättetem, aber durchaus authentischem Altdeutschen Stil für heutige Leser. Köstlich, eine Fiktion in der Fiktion.

Kaum zu glauben, Stanisics Alter Ego ist eine Füchsin

Sprachliche Höhepunkte sind die Kapitel in dem eine Fähe, gemäss Jägersprache ist das ein weiblicher Fuchs, ins Dorf auf nächtlichen Beutezug schleicht: „Hinter geflochtenen Metalldrähten in Holzverschlägen: Huhn! Dahin, zum Huhn, will die Fähe heute Nacht …Weil nichts ein besseres Aroma hat als die delikate, dünne Schale, weil nichts so guttut wie der sämig süße Dotter“. Sasa Stanisic schlüpft in die Rolle des tierischen Räubers, kommt so aus einem anderen Blickwinkel an die Geheimnisse der Menschen im Dorf heran.

Und es ist wie so oft bei beim Lesen eines Romans. Verständnis, ja Sympathie entwickeln wir für die auftretenden, oft skurillen Figuren. Für den alten NVA-Offizier Schramm und die Nachtjoggerin Anna, die Dorfchronistin Frau Schwermuth und ihren Sohn Johann, für den aggressiven Lada und den tauben Suzi. Wir wollen immer weiter lesen und auf einmal ist das Fest da und das Buch aus, der Schluß irgendwie enttäuschend, ohne zu wissen warum. Doch genauso ist das Leben von Menschen. Es gibt weder einen großen Plan noch das Anrecht auf eine Pointe, nichts ist ganz schwarz und ganz weiß. Und ob wir wollen oder nicht, unser aller Leben hat immer Bezüge zu unseren Vorfahren, wir sind untrennbar mit der Geschichte unserer Herkunftsregion verbunden.

Zum Schluß: Wenn jemand Uckermark hört, dann ist die Assoziation bestimmt nicht weit, dass dies die Heimat der deutschen Bundeskanzlerin ist. Es ist Sasa Stanisic hoch anzurechnen, dass er der Versuchung nicht erlegen ist, diesem Umstand in seinem Roman viel Raum zu geben. Nur an ganz kleiner Stelle wird erwähnt, dass im Gästebuch des gerade verstorbenen Fährmanns von Fürstenfelde in siebzig Jahren gerade sieben Einträge verzeichnet seien, einer stamme von Angela Merkel. Aber wer weiß das schon genau bei so vielen anderen Mythen.

Ronald Siller | 2. April 2014

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