Das Thema Rache oder besser die Unverhältnismässigkeit in der Wahl der Mittel als Antwort auf erlittenes Unrecht wird wohl für immer aktuell bleiben. Gerade nehmen sich wieder zwei Kinofilme dieses Stoffes an. Da ist es mehr als angebracht, gleich die Orginalvorlage aus dem Bücherregal hervorzuholen – den Klassiker „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist.
Der erste Film ist der neue Hollywood-Western ‚Lone Ranger’. Einen kauzigen Indianer spielt darin Johnny Depp, der einem Weißen hilft für seinen ermordeten Bruder Rache zu nehmen. Und ab 12. September 2013 können sich Kinobesucher auf die nun schon vierte Filmadaption von ‚Michael Kohlhaas’ freuen, diesmal unter der Regie des Franzosen und Kleist-Verehrers Arnaud des Pallières.
„An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, Namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“. So beginnt Heinrich von Kleist seine Erzählung, welche zusammen mit den beiden weiteren meisterlichen Novellen ‚Die Marquise von O …’ und ‚Das Erdbeben von Chili’ erstmals 1810 erschienen ist.
Zum Inhalt: Kohlhaas werden zwei Pferde auf schändliche Weise unterschlagen. Nachdem er sich vergeblich durch mehrere Instanzen bei der Obrigkeit beschwert, um die Tiere wieder zu erlangen, überzieht er seinerseits das Land mit Raub, Brandschatzung und sogar Mord. Nur so meint der Pferdehändler, sich Recht verschaffen zu können. Er endet am Schafott in Berlin.
Das eigene Rechtsempfinden steht auf dem Prüfstand
Mein Vater hat Kleists Erzählung dreimal in seinem Leben gelesen. Nach dem ersten mal in der Gymnasialzeit, habe ich mir nun den schmalen Band erneut vorgenommen. Es ist wirklich erstaunlich, wie das eigene Rechtsempfinden sich mit dem Älterwerden wandelt. Als junger Mensch gibt man dem Kohlhaas in seiner Wahl der Mittel wohl gerne bedingungslose Zustimmung. Nun kommen einem da erhebliche Zweifel auf. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in 25 Jahren wie mein Vater auf das absolute Gewaltmonopol des Staates poche oder doch weiterhin auf das Recht zu politischem Widerstand – auch gewaltsamen – plädiere.
Heinrich von Kleist jedenfalls hat in historischen Gerichtsakten die allgemein gültigen, rechtsphilosophischen Fragen des Falles unmittelbar erkannt und herausgearbeitet. Ganz zu Recht bleibt seine Erzählung ein immer aktuell bleibender Klassiker für jeden Leser, welcher es versteht, die Zeitbezüge als notwendige prosaische Ausgestaltung zu erkennen, diese auf sein Lebensumfeld zu übertragen bzw. abstrahieren zu können. Auf den neuen Film von des Pallières bin ich daher gespannt, wie und ob er das romantische Momentum in Kleists Vorlage behandelt, welches Michael Kohlhaas in seiner Kerkerhaft vor der Hinrichtung widerfährt.
Das unglückliche Genie Heinrich von Kleist
Auch Goethe hat wohl die Genialität Kleists erkannt. Und ihn als Konkurrenten begriffen. Kleists Lustspiel ‚Der zerbrochne Krug’ ist heute eines der meistinszenierten auf deutschen Bühnen, weil sein Sprachwitz unerreicht bleibt. Merkwürdig nur, die Erstaufführung des Stückes durch Goethe in Weimar wurde schon nach wenigen Vorstellungen abgesetzt … Wie auch immer, der wohl zumeist unglückliche Kleist erschoss sich im 35sten Lebensjahr 1811 am Wannsee bei Berlin, unmittelbar nachdem er Henriette von Vogel auf Verlangen tötete.
Es ist wohl Ironie des Schicksals: Alle genannten Werke von Kleist, auch seine vorzüglichen Dramen wie etwa ‚Das Käthchen von Heilbronn’ oder ‚Prinz Friedrich von Homburg’, erscheinen heute im Suhrkamp bzw. in dem angegliederten Insel Verlag in Berlin. Doch wie lange noch? Denn in dem gerade tobenden bizarren Eigentümerstreit bei Suhrkamp – der Zuschauer wendet sich mit Unverständnis ob der Details ab – scheint die Angemessenheit in der Wahl der Mittel schon längst abhanden gekommen zu sein.
Ronald Siller | 20. August 2013
Gestern war ich endlich im Kino, genauer im Filmforum unseres Stadttheaters, um die aktuelle Verfilmung des „Michael Kohlhaas“ gemäss der Vorlage von Heinrich von Kleist zu sehen. Der Regisseur Arnaud des Pallières adaptierte das Geschehen der berühmten Novelle aus dem brandenburg-sächsischen Gebiet nach Südfrankreich. Das gelingt hervorragend mit wunderbar kargen Landschaftsaufnahmen. Ebenso toll wird der universelle Kern der Geschichte um Gerechtigkeitssuche und Rache visualisiert. Die kurzen, klamaukhaften Szenen mit einem Sancho Pansa Typen hätte sich des Pallières allerdings sparen können. Nicht ganz schlüssig ist auch der Auftritt eines Reformgeistlichen – in der Orginalnovelle wird Luther explizit benannt – in den französischen Carvennen. Der 120 Minuten Film fällt im letzten Drittel zu lang aus bzw. hat dramaturgische Schwächen. Doch das wird alles aufgewogen durch den überragenden, souverän mit Pferden agierenden Hauptdarsteller des Kohlhaas, dem Dänen Mads Mikkelsen. Er spricht wenig. Sein Minenspiel, gezeigt in Grossaufnahmen, ist dafür beredend und beklemmend gleichzeitig. Daher das Filmprädikat – unbedingt empfehlenswert!