Wohlschmeckender, intellektueller Fastfood

Der deutsche Bestsellerautor Florian Illies („Generation Golf“) hat ein neues Buch veröffentlicht mit dem Titel 1913. In zwölf Monatskapiteln beschreibt er die kulturgeschichtlich wichtigsten Ereignisse dieses ‚ungeheuren Jahres‘ stilistisch elegant und setzt sie gekonnt in Zusammenhang. Manchmal ist das sehr gewollt.

Wer am Buchmarkt große Verkaufserfolge erzielt hat, dem fällt es naturgemäß leicht, jedes neue Werk an den Mann, sprich den Verlag zu bringen. In diesem Fall geht es um Florian Illies, der 2000 mit seinem Buch „Generation Golf“ exakt den Zeitgeist getroffen hatte, als er die Wohlfühljahre seiner 1980er Jugendzeit beschrieb. Monatelang beherrschte er damit die Bestsellerlisten. Auch sein Folgebuch verkaufte sich gut. Ob geschickte Marketingstrategie oder echtes Bedürfnis sei dahingestellt, im zweiten Halbjahr 2012 platziert der S. Fischer Verlag sein neues Buch „1913“.

Buchtitel 1913 von Florian Illies

Worum geht es? Der studierte Kunstgeschichtler Florian Illies montiert aus Orginalzitaten und -quellen einen faszinierenden Bogen über dieses besondere Jahr, in dem er die wichtigsten künstlerischen Persönlichkeiten zu Wort kommen lässt. Mit all ihren Ideen und Erfolgen, ihren Irrungen und Wirrungen. So dürfen wir als Leser u.a. dem Maler Oskar Kokoschka und seiner verzehrenden Liebe zu Alma Mahler folgen, dem Schaffen Pablo Picassos beiwohnen, den Bruch von Dr. Sigmund Freud zu seinem Schüler C.C. Jung nachvollziehen. Auch Franz Kafka in Prag mit seiner unglücklichen Liebe in Berlin findet breiten Raum und zieht sich wie ein roter Faden durch das in zwölf Monatskapitel eingeteilte Buch.

Mit Leichtigkeit verbindet sich alles mit allem

Dazwischen eingestreut kommen auch Hitler und Stalin vor. Der Autor Illies spekuliert überzeugend, dass die beiden sich als Spaziergänger im kalten Wien des Februars 1913 im Schönbrunner Schloßpark wahrscheinlich begegnet sind. Überhaupt gelingt es Illies mit großer Leichtigkeit und sprachlicher Eleganz die kulturgeschichtliche Atmosphäre und enorme künstlerische Aufbruchstimmung in den europäischen Metropolen Paris, Wien und Berlin wieder aufleben zu lassen. Durch seine Collage-Technik wird der Leser in einen Sinnesrausch versetzt, es entstehen wunderbare Bilder im Kopf, die Vorfreude auf jedes neue Kapitel steigert den Lesegenuss. Fast magisch verbindet Illies alle Personen, Ereignisse und Orte miteinander zu einem großen Ganzen, alles vor dem Hintergrund der damals nur geahnten nahen Weltkriegskatastrophe. Aber eben nur fast. Vieles bleibt Spekulation bzw. wirkt bemüht, ist fast zwanghaft konstruiert und in einen gewollten Zusammenhang gestellt.

Das Buch endet logischerweise mit Silvester 1913 und geschickten Anspielungen auf den kommenden Untergang, von dem der heutige Leser historisches Wissen hat. Durch diesen Kunstgriff lässt Illies den Leser – sich selbst bespiegelnd – intellektuell in gutem Lichte erscheinen. Aber man fühlt sich nach dem letzten Kapitel auch etwas ratlos. Es ist eine gleichzeitige Leere und Fülle, wie nach dem Genuss von zu viel leckerem Fastfood. Was ist nach diesem Parforceritt durch das Jahr 1913 für einen selbst als Erkenntnis hängengeblieben? Vielleicht besteht die zarte Hoffnung, dass sich der eine oder andere Leser danach Kafkas Buch „Die Verwandlung“ vornimmt oder wegen Kokoschkas Bild „Die Windsbraut“ ins Museum geht. Dann hätte Florian Illies einen wertvollen kulturellen wie intellektuellen Beitrag geleistet.

Ronald Siller | 19. August 2013

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